Neue Zürcher Zeitung | 08.11.2001

Waffengattung Kabarett
Georg Schramm kämpft in Miller's Studio gegen die gute Laune

So einen Abend nennt man wohl historisch. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte einige Stunden zuvor erklärt, für den Krieg in Afghanistan Bundeswehrsoldaten bereitzustellen. Und Georg Schramm, Offizier der Reserve, Dipl.-Psychologe und Kabarettist (in umgekehrter Reihenfolge), lieferte mit seinem Programm den Kommentar, als hätte er «Mephistos Faust» justament aus dem Ärmel geschüttelt. Damit zum ersten Mal in der Schweiz, konnte Schramm gestern linkshändig kontern, weil von der Geschichte rechts überholt. Deutschland darf wieder mitspielen, wird wieder ernst genommen: «Mein Land ist in den Krieg eingetreten!» Um acht Uhr null wurde zurückgeschossen, von Schramms Wach- und Schiessgesellschaft, am Geschütz ein Künstler, der sich auf dem Zenit seiner Karriere befindet.

Mephistos Faust, der Geist, der stets verneint - und für den Spass eine zu ernste Sache ist, als dass man sich über ihn lustig machen dürfte -, steht für die Figur des kriegsversehrten Lothar Dombrowski, Schramms populärste Konstante in seinem Panoptikum. Der Dörrfisch-trockene Preusse mit der angewinkelten Armprothese wird als Erster auf die Bühne geschickt. Seine historischen Analysen einer amerikanischen Freundschaft sind ebenso tief wie scharf schneidend und bedenkenswert wie die Psycho-Analyse der legasthenischen Cowboys, die man in der Neuen Welt Präsidenten nennt. «Amerikaner, wo kommen die überhaupt her?» Wenn man diese Frage historisch angeht, gerät man allerdings durcheinander. Dombrowskis gallige Einsichten und bittere Aussichten (auf die Lage der Nation) werden kurzgeschlossen mit den Ressentiments zweier anderer Schramm-Getreuen: von Altsozi August («ich hasse die Ostdeutschen nicht, sie sind mir nur fremd») und Oberstleutnant Sanftleben, ein Totschläger im Tarnanzug des Pseudo-Pazifisten. Kabarettist Schramm schliesslich als Moderator Schramm gibt Meta-Kabarett, das sich gewaschen hat unter der Ego-Dusche eines Psycho-Trainers.

So einen Abend nennt man wohl historisch. Auch wenn Schröder nicht mitgeholfen hätte, gäbe es genügend Anlass, Schramm Gesellschaft zu leisten. Politisches Kabarett von dieser Präzision ist in jeder Hinsicht ein Ereignis.

Daniele Muscionico