Georg Schramm auf dem Kulturufer:
Vom Aufklärer zum Aufwiegler

von Harald Ruppert

„Irgendwann wird es die Kraft der Polemik gar nicht mehr geben. Nur noch Worthülsen, die im Brackwasser der Beliebigkeit untergegangen sind!“ – Georg Schramm ist zornig, so wie auf der Bühne fast immer. Oder spielt er diesen Lothar Dombrowski wirklich nur, den Kriegsversehrten mit dem schwarzen Handschuh? Gute zweieinhalb Stunden lang fragt man sich, wie viel von Georg Schramm in den Figuren steckt, die er erfunden hat. In diesem Rentner etwa, dem kleinen Mann mit einer Neigung zur Renitenz – als SPD-Mitglied hat er genau jene Partei gefunden, die zu seiner gleichzeitigen Mutlosigkeit passt. Oder Oberstleutnant Sanftleben, Presse- und Öffentlichkeitsoffizier der Bundeswehr, der die blind machenden Technokratenbegriffe des Kriegsverwalters benutzt, nur um in derselben Kälte zu erklären, was sie bedeuten und dabei wie unbeabsichtigt den ganzen Zynismus militärischer Logik aufzeigt.

 Georg Schramm, Jahrgang 1949, stammt aus einer Arbeiterfamilie und hat es aufs Gymnasium geschafft. Er war Zeitsoldat, war Jahrgangsbester beim Einzelkämpferlehrgang und fiel schließlich trotzdem durch den Offizierslehrgang, wegen „charakterlicher Nichteignung“. Keine Frage, Schramms Lebensgeschichte sitzt seinen Kunstfiguren in den Knochen. Und nun werden sie abtreten – zumindest von der Bühne. Beim Kulturufer begegnet man Schramm auf Abschiedstournee.

Schramm ist ein Erregungskünstler. Er reißt keine Witze. Sein Kabarett ist ein anhaltender Aufruf zum Umsturz, er heizt sein Publikum an, reißt es mit, und wenn er es endlich so weit getrieben hat, dass es die Messer am Bordstein schleifen möchte, um die Führungsriege der deutschen Politik zu lynchen, ist der Gipfel erreicht, dem Volk der Spiegel vors Gesicht gehalten: Es ist einem Rhetoriker aufgesessen, der zur Lösung aller Übel denselben Terror empfiehlt, den die Faschisten nutzten. Schramm ist als Kabarettist so einzigartig, ein Abend mit ihm so heikel, weil er den Mut hat, diesen Weg dramaturgisch bis ans Ende zu gehen. Schramm entschärft scharfe Aussagen nicht – er schärft sie weiter, immerzu, bis sie am Ende kippen in den Köpfen seiner Zuhörer. Erst so werden Schramms Brandsätze gelöscht – durch einen Schritt, den das Publikum selbst tun muss, nicht aber vorsorglich der Kabarettist auf der Bühne, der sich damit wegen fehlender Traute den eigenen Wind aus den Segeln nähme.

Lothar Dombrowski ist Schramms Meisterleistung – und der steife Arm vielleicht gar nicht die alte Kriegsverletzung, für die man sie hält, sondern ein äußeres Zeichen für jenen starren Kern, die den Seelen begabter Demagogen eigen ist. Unter der Gischt des Zorns liegt dieser starre Kern, er ist die Schaltzentrale einer Manipulation, die Dombrowski auch ganz offen eingesteht. Er spricht von diesem „einen Satz“, der eine Ansprache krönt und auf die er, der Redner, die Leute vorbereiten muss; ein Satz, der das Publikum „geistig und emotional zermalmt“, so Dombrowski, und von dem es sich nur durch frenetischen Beifall befreien kann.


Schramm alias Dombrowski geifert, wenn er so spricht, sein schweißnasses Gesicht glänzt im Scheinwerferlicht und er zieht alle Register seiner großen Demagogenschule, die er zugleich mit jedem Wort weiter entlarvt. Dies ist auch der Moment, in dem man begreift, warum Schramm von der Bühne abtritt: Seine Konsequenz passt nicht mehr in die Zeit, denn keiner greift wie er das öffentliche Wutpotenzial auf – etwa das Gemauschel zwischen Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie, die Abhängigkeit der Kanzlerin von Medien- und Wirtschaftsbossen oder die Stilisierung der Investmentbanken zu Herren der Welt. Richtig findet so etwas niemand, aber in wem pocht darüber mehr als dumpfe Entmutigung? Mit der Peitsche seiner Sprachgewandtheit bringt Schramm diese Entmutigung in Form. Er dressiert sie zur Empörung und ist dabei Direktor der Manege; ein Einpeitscher, nach dem man giert. Der Aufwiegler ist vom Aufklärer nur einen Schritt entfernt, und der Vollzug dieses Schritts ist die Nahtstelle des politischen Kabaretts von Georg Schramm. Nun, wo er abdankt, bleibt für die Bühnen noch der Lachsack, an dem sich keine Nahtstelle findet.

Südkurier, 29. Juli 2013

 

Denkwürdig

Mainz. Und dann, am Ende, nach gut zwei Stunden, wird es mit einem Mal ganz still im Mainzer unterhaus. Totenstill buchstäblich, so dass man des Nachbarn Luftanhalten hört. Dabei lag das Publikum gerade eben noch vor lauter Lachen unter seinen Sitzen. Etwa angesichts von Augusts, nun, nennen wir es Hobby, allmorgendlich in seinem Schrebergarten mit dem Luftgewehr auf die erste Seite der "Bild" zu feuern.
Von Lothar Dombrowski, Georg Schramms Paradefigur, einmal ganz zu schweigen. Denn selbstredend hat der renitente Rentner seine Selbsthilfegruppe "Altern heißt nicht trauern" nicht gegründet, um über die heilsame Wirkung etwa von Haifischknorpeldragees zu debattieren. Vielmehr ist sein Anliegen vor allem politisch und moralisch motiviert. Und voller unheiligem Zorn.
"Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht", hat Schramm schließlich bei Papst Gregor dem Großen gelesen. Ein Motto, das er wie wohl niemand sonst unter den verbliebenen Polit-Kabarettisten zum Programm verdichtet nur, um Politik, Kirche und die Habgier als "Prinzip unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" bloßzustellen auf eine Weise, die sprachlich wie schauspielerisch ihresgleichen sucht. Für sein siebtes Solo, "Meister Yodas Ende", mit dem er jetzt auf Tournee geht, braucht Schramm nichts als einen Garderobenständer, um auf offener Bühne von der Rolle des Frankfurter SPD-Stammtischlers August in die des Oberstleutnant Sanftleben zu wechseln, von dort zu Dombrowski und wieder zurück in Augusts Schrebergarten. Und immer zorniger zu werden.
Dabei sind Schramms bekannteste Figuren alles andere als Typen, sondern bis ins Detail ausgearbeitete Charaktere. An den Verhältnissen verzweifelnde Menschen freilich allesamt wie August, der seine SPD nicht mehr versteht, wie Sanftleben, der sich die Truppe schöntrinkt, und wie Dombrowski, dessen Erkenntnisse bisweilen radikal anmuten, es bei genauerer Betrachtung aber gar nicht sind. Er bringt nur auf den Punkt, was vor Jahren noch zum guten Ton gehörte nicht nur im Kabarett, bei Globalisierungskritikern oder radikalen Spinnern. Und heute als mindestens sozialromantisch, wo nicht als peinlich gilt: Dass nämlich "der Riss in diesem Land" noch immer "zwischen Arm und Reich" verläuft und nicht zwischen Alt und Jung, Deutschen und Nichtdeutschen.
Das sture, stolze, wütende Beharren auf einmal gewonnenen Einsichten entspricht zwar immer schon Dombrowskis Wesen. Doch die Pointe Schramms ist ungleich subtilerer Natur. Und radikaler. Aufklärerischer. Wenn man so will: revolutionärer. Stellt doch Schramm sich wie dem Publikum die Frage nach den Konsequenzen, den Handlungsalternativen jedes Einzelnen in Anbetracht der diagnostizierten Lage. Und während August sich lustvoll für die Variante Widerstand und ziviler Ungehorsam entscheidet, ist es ausgerechnet Dombrowski, der resigniert. Und aus Angst vor Demenz, vor Pflegestufe drei und Altersheim zur Pillendose greift: "Wie viele könnte ich nehmen, bis Sie eingreifen?"
Das ist die Frage des Abends. Nach der Verfassung einer Gesellschaft, nach der Fähigkeit zur Empathie, nach der Humanität und was davon geblieben ist. Und nicht zuletzt die nach der Relevanz eines ganzen Genres, Kabarett. Was für ein Finale! Selten versank ein ausverkauftes Haus derart in Schweigen. Diese Stille ist Schramms bitterste, verstörendste Pointe. Und die Essenz dieses Programms. Mehr kann man von gutem Kabarett beim besten Willen nicht verlangen.

Von Christoph Schütte
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.10.2010

 

Die Generation der Pflegebedrohten

Die schlechte Nachricht vorweg: Ausverkauft. Auch heute und morgen. Bei Georg Schramm ist das so. Er ist einer der besten, weil schärfsten, politischsten Kabarettisten Deutschlands, hat seine Fernsehauftritte in der ZDF-"Anstalt" aufgegeben, damit er wieder mehr auf der Bühne stehen kann, wo er seinem Publikum in so feinen kleinen Häusern wie dem Freiburger Vorderhaus ganz nahe ist. Am Mittwochabend feierte der 61-Jährige mit seinem neuen Soloprogramm "Meister Yodas Ende" eben dort Premiere – von Freiburg aus gehen Schramms Bühnenfiguren Lothar Dombrowski, Oberstleutnant Sanftleben und der hessische Sozialdemokrat August auf Kabarett-Tournee durch Deutschland.

Doch was heißt hier: Kabarett? Meister Yoda entstammt dem Science-Fiction- Märchen "Star Wars", in dem es um den Kampf der guten gegen die bösen Mächte geht. Die Waffe für den Existenzkampf in fernen Galaxien: Laserschwert. Schramm und sein Regisseur Rainer Pause haben Meister Yoda auf die Erde geholt und ein Volksstück erdacht, weit mehr als die Aneinanderreihung von Kabarettstückchen, das ebenso vom Kampf um Leben und Tod handelt – und als Waffe die Sprache gewählt. Eine Sprache, deren Wirkung ganz außerordentlich ist: Das Publikum lacht, brüllt – und schweigt. Es ist belustigt, berührt – und betroffen.

Der Abend beginnt mit August. Dumm ist er nicht, dieser August, aber seit 40 Jahren Sozialdemokrat. Er kann halt nicht anders, was aber nicht heißt, dass er sich mit Sozialdemokratinnen wie Andrea Nahles abzufinden gedenkt: Die gehöre in den hintersten Winkel eines dunklen Waldes, befindet August, das Schrotgewehr griffbereit auf seinem Schoß. Aber dann kommen August auch andere Gedanken, die Augen glitzern feucht, Worte stocken, Sätze bleiben unvollendet. Denn er sitzt in seinem Schrebergärtchen, nicht weit von der Stelle, wo er gemeinsam mit dem Nachbarn und dem Enkelsohn die Urne der verstorbenen Ehefrau verbuddelt und das Grab so hergerichtet hat, wie "Mutter" das gewollt hätte. Nachdem das Trio sie aus dem Urnenfeld des Hauptfriedhofs ausgebuddelt hatte, versteht sich, denn: "Da darfste ja nix."

In Augusts sechs, sieben Minuten dauerndem Auftritt ist die Dramaturgie des Abends bereits erkennbar: Schramm dirigiert seine Zuhörer durch sich abwechselnde Themenfelder, ein ausgeklügelter Rhythmus bestimmt den Spannungsbogen, der sich mal aus der großen Politik speist, dann wieder um sehr persönliche Anekdoten rankt. Beides ist klug beobachtet, präzise formuliert und herausragend dargestellt.

Perfektioniert hat Georg Schramm dieses Spiel mit seinem ewig schlecht gelaunten Preußen Dombrowski, dessen Brandreden an ihrem missionarischen Eifer manchmal schier zu ersticken drohen – "Merkel und Westerwelle, das sind Furunkel am Gesäß des Bösen!": Heiliger Zorn scheint eine Eigenschaft, ja eine Haltung zu sein, die die Kunstfigur mit dem Kabarettisten teilt. Manchmal, in den besten Momenten, ist dieser Zorn mit Vernunft gepaart. Dombrowski ist es auch, der am offensivsten auf das Publikum zugeht: Er befragt Einzelne ohne Scheu oder Rücksicht zu Kriegserlebnissen oder erinnert die Älteren an ihr bevorstehendes Ableben: "Wir sind eine Generation von Pflegebedrohten". Ob dieser Direktheit vernimmt man ein kollektives Luftanhalten im Zuschauerraum – aber Schramm will niemanden bloßstellen, nur eine Wunde offen legen, von der jeder im Saal weiß, dass sie auch unter seinem Lebenspflaster schwärt.

Was Dombrowski die Themen Alter, Demenz, Pflege, sind Oberstleutnant Senftleben die Politik und das Militär. Jovial und bestgelaunt wendet sich der "Panzermann – für die Frauen" an seine "Landsleute". Der Afghanistankrieg ist sein Anliegen und seine schwindelerregenden Assoziationsketten führen von Ex-Verteidigungsminister Strucks Ausspruch: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt über den Taliban-Satz: Afghanistan werde im Sauerland verteidigt bis zu: Schwarz-Gelb könne nur mit Hilfe des Kriegsrechts verteidigt werden…

Gut zwei Stunden dauert es, bis Meister Yodas Ende erreicht ist. Es ist ein bitterer Abgang – vor allem für Dombrowski. August hingegen hat sich eine "solide aggressive Grundstimmung" erarbeitet und beschließt, bei Schlecker Rentnerungehorsam zu betreiben.

Nein, es ist keine schlechte Nachricht, dass die Abende mit Georg Schramm ausverkauft sind. Es ist vielmehr eine sehr gute Nachricht. 

Badische Zeitung, 3. September 2010


Georg Schramm stellt neues Programm im Pantheon vor

Bonn. Irgendwann, so erzählt Lothar Dombrowski, sei ein junger Mann zu ihm gekommen und habe ihn mit Meister Yoda aus "Star Wars" verglichen, der allein kraft seiner Gedanken Dinge bewegen und das Böse abhalten kann.

Das, so fand er, klang doch ganz vielversprechend. Zumal das Alter Ego des Kabarettisten Georg Schramm selbst einer Mission folgt. Doch dann, als er den Film gesehen habe, sei er doch enttäuscht gewesen von dem "Giftzwerg in Mönchkutte" und dessen "schlichten Halbwahrheiten".
Die waren Schramms Sache nie. Und dass er nach seinem Ausbruch aus der ZDF-Fernseh-"Anstalt" das Schwert einstecken würde, stand nicht ernsthaft zu erwarten. "Meister Yodas Ende. Über die Zweckentfremdung der Demenz" heißt sein neues Programm unter Regie von Rainer Pause, das jetzt Vorpremiere im Pantheon-Casino feierte.

Ein doppeltes Experiment an einem möglichen neuen Veranstaltungsort im Keller des Bonn-Centers. Wo gezockt und verloren wurde, bevor es 20 Jahre lang im Dornröschenschlaf versank.
Gezockt haben seither noch ganz andere. Und Schramm zeigt die Folgen dessen auf drastische Weise. Unmittelbar am lebenden Objekt. Das heißt August, ist Sozialdemokrat und darin geradezu rührend naiv.
Wo politisches Kabarett gemeinhin aufhört, um den Rest den Gedanken seiner Zuschauer zu überlassen, geht Schramm ein gutes Stück weiter. Merkel, Westerwelle und Co. sind für ihn letztlich austauschbar. Im Gegensatz zu all denen, die den Freitod dem Altersheim vorziehen würden. Demenz mag mitunter sogar eine Gnade sein. Dieses Programm aber ist ein gnadenloses Meisterstück.

Von Ulrike Strauch
General-Anzeiger Bonn, 30.08.2010