»Ausbeuter!«
Zum Heulen: Der Kabarettist Georg Schramm spielt den alten Sozialdemokraten August

Manchmal, wenn Georg Schramm seinen alten Sozialdemokraten August auf Deutschlands Kleinkunstbühnen vom Elend der SPD erzählen lässt, dann lachen die Leute, weil sie das komisch finden. Andere wieder, je nach Standort und Wochentag, sitzen stumm und betroffen da, weil sie es bitter finden. Und ein paar heulen, sagt Georg Schramm, dann weiß er, dass sie ihn verstanden haben. Wer hat eigentlich behauptet, Kabarett sei nur zum Lachen da?
 
Georg Schramm ist Kabarettist. In der neuen Zeitrechnung des politischen Kabaretts, der Nach-Dieter-Hildebrandt-Ära, ist er unbestreitbar einer der Besten seines Fachs. Vermutlich sogar der Beste, wie seine Fans meinen, aber darüber kann man natürlich streiten. Er selbst zählt eine ganze Liste von Kollegen auf, die er mag und schätzt. Gerhard Polt, Bruno Jonas, Mathias Richling, Matthias Deutschmann, sie und ein paar andere nimmt er sehr ernst. Unter den Etablierten, zu denen er als Mitglied der »Scheibenwischer«-Mannschaft längst gehört, ist er der aggressivste, hart, kompromisslos, ohne Klamauk, ohne Schnickschnack. Vielleicht ist er am wenigsten Kabarettist von ihnen und am meisten Schauspieler. In der Tat tritt er nie als Schramm, der Kabarettist, auf. Er versteckt sich in und hinter Kunstfiguren. Kommt er wirklich als »Schramm« auf die Bühne, dann ist er nicht Schramm. Er spielt ihn nur.

Drei Figuren sind Schramms Stammpersonal: ein Preuße, ein Militarist, ein Sozialdemokrat. Jede von ihnen hat ihre Besonderheit, ihre Persönlichkeit, Ecken und Kanten. Sie sind mit der Zeit so geworden, haben sich allmählich entwickelt. Alle drei sind aus dem deutschen Kabarett nicht mehr wegzudenken. Am bekanntesten ist zweifellos der etwas miesepetrige altpreußische Rentner, Kriegsversehrte und Altenheiminsasse Lothar Dombrowski. Er übt mit Leidenschaft Zeitkritik, ist gnadenlos juxfeindlich und wehrt sich gegen die Trends und Moden in Politik und Gesellschaft. Seine »Teilnahme an dem Abend«, so droht Dombrowski gleich zu Beginn jedes Schramm-Abends, sei vom weiteren Verlauf abhängig. »Sollte der Abend ins Belanglos-Fröhliche abgleiten, dann denke ich, dann kommen Sie sehr gut ohne mich aus. Gute Laune, so Lirumlarumlöffelstiel, das ist nichts für mich.« Und während die Leute sich darob noch biegen vor Lachen, bollert Schramms Vernunftpreuße von der Bühne herab: »Denken Sie nicht, das ist jetzt irgendwie Rücksichtnahme auf diesen Dingsda, diesen 11.September oder so was. Ja, mein Gott, nicht wahr, das hat damit nichts zu tun, im Gegenteil, das war eine angenehme Begleiterscheinung, dass die Spaßgesellschaft einmal ein paar Wochen die Klappe gehalten hat. Aber man kann doch nicht jedes Jahr einen Wolkenkratzer einäschern, nur damit dieser Schwachsinn aufhört.« Spätestens da versteht man, was Bruno Jonas meint, wenn er über die Kabarett-Feinschmecker sagt: »Der Gourmet geht ins Kabarett, damit ihm das Lachen im Halse stecken bleibt.«

Schramm ist ein Fall für Gourmets, aber solche mit starkem Magen. Schonkost wird nicht serviert. Beispielsweise mutiert er von »Schramm«, dem Kabarettisten, der aus seinem Leben plaudert, allmählich und kaum merklich zum populistischen Motivationstrainer, schwadroniert drauflos, wie man im Leben Erfolg hat, und deckt das Publikum ein mit Tiraden eines prominenten Scharlatans aus dieser zwielichtigen Branche der Psycho- Lebenshelfer: »Sie müssen den Sieger in sich entdecken! Siegen heißt nicht, andere Menschen zu besiegen, das kommt später! Armut heißt arm an Mut!« Immer wieder passiert’s, dass ihn gar nicht so wenige in der Rolle ernst nehmen und sich gründlich »motiviert« fühlen (»Gibt es davon eine CD?«).

Oder Schramm als Oberstleutnant Sanftleben, Presseoffizier und Kommunikations- beauftragter, der postmoderne Militarist. Ein bisschen betrunken und sehr redselig erklärt er etwa seinen Zuhörern die eigentliche kulturpolitische Dimension des Irak-Kriegs: »Der Araber braucht eine vor den Latz! Das ist die Sprache, die er versteht! Dazu brauchen wir keinen Dolmetscher! Die Muslime stoppen wir doch nicht mit einer Moralpredigt, die halten uns für Weicheier! Da muss man ab und zu ein Exempel statuieren!«

Bei Dombrowski sollte man sich, auch bei starkem Magen, innerlich anschnallen. Der Mann mit der Eisenhand vor der Brust liefert Zeitkritik pur, manchmal an der Grenze zum Grobschlächtigen, zum Beispiel, wenn er über »die Politiker« und deren Talkshow-Auftritte herzieht: »Diese Hampelmänner entleeren dann ihre Sprechblasen in den öffentlich- rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen Christiansen und Illner«. Anschließend sinniert Schramms Kulturpessimist über Ursachen und Folgen dieser Banalitätenschwemme: »Das Wort ist am Ende, aber es ist kein heldenhaftes Ende. Das Wort ist tot, aber kläglich tot. Nicht vom Tyrannen erschlagen, nicht vom Zensor erwürgt. Als leere Worthülse im Brackwasser der Beliebigkeit untergegangen. Die Polemik ist tot, es lebe die Unterhaltung.«

Und da ist Georg Schramms dritter Mann, der alte hessische Sozialdemokrat und Gewerkschafter August, der bald in Rente geht. Der ist ganz anders. Bescheiden, unsicher, ein bisschen resigniert, aber auch voll Stolz auf seine Lebensleistung: »25 Jahre im Betrieb, ohne einen Tag krank.« Und der Chef hat ihm zum Jubiläum die Hand gegeben. Und Rotwein geschenkt. »Weil Sie immer ein Roter waren«, hat der Chef dazu gesagt.Das hat ihn gerührt, den August. Ja, ja, »ich war ein scharfer Hund früher«, ein Radikaler. »Aber der Chef gibt mir die Hand, verstehste. Da siehste: Wir Arbeiter sind net mehr die Putzlappen.« Genau dafür haben sie damals ja gekämpft, gell? Für Rechte und für Respekt. Die Gewerkschaften und die SPD. Das wissen die Jungen heute gar nicht, sagt der August. Gelernter Drucker ist er und stolz darauf: »Wenn du Drucker gelernt hast, des is wie Politik.«

August ist der Antityp zum Militaristen Sanftleben und zum Infragesteller Dombrowski: der kleine Mann, der die Welt nicht mehr so recht versteht, aber den radikalen Wandel spürt. Er spricht in unvollendeten Sätzen, fast stammelnd und mit hessischer Sprachfarbe von den Umwälzungen in der Arbeitswelt. Seine Geschichte handelt zugleich von der Arbeiter- bewegung und ihrem drohenden Ende. Keine fröhliche Geschichte. August erzählt: Auf den Betriebsversammlungen, damals, da hat er aus der letzten Reihe immer gerufen: »Ausbeuter!« Heute, wenn er davon erzählt, flüstert er das A-Wort, dass es nur ja keiner hört. Aber so war’s, Leute: »Tatsach! ‚Ausbeuter‘! So Wörter hamm wir g’habt – früher.«

August, der alte Kämpfer, freut sich auf die Rente. Wegfahren, haben sie überlegt, aber das geht nicht. Wegfahren, jetzt? Wo die Partei ihn braucht? Ausgeschlossen. Er muss hier bleiben und im Ortsverein mitmachen. Schauen, dass nicht alles abgeräumt wird. Er hat doch die Urkunde seiner 40-jährigen Mitgliedschaft! Die steht daheim in der Vitrine. Die jungen Leute, die sagen »weg mit der SPD«, was wissen die denn, wie wir früher kämpfen mussten? Die Stimme wird brüchig. August sagt: »Die nehmen uns doch alles wieder weg. Ich bin 40 Jahre in der SPD und muss zugucke, wie alles – ich kann doch jetzt net fort bleiben…«

Rot-Grün, die sozialen Veränderungen im Allgemeinen, die Agenda 2010 im Besonderen: Deutschlands Kabarettisten haben viel Stoff. Sie gehen unterschiedlich damit um, sie reden alle von ihrer Enttäuschung. Die Geschichte dieser Regierung, sagt Mathias Richling, zeige deutlich, »wie konservativ Macht macht«. Vor 20 Jahren habe es noch eine Alternative zu Kohl gegeben, aber wo sei die Alternative zu Schröder/Fischer? Merkel, Koch? Da bleibt den Meistern der Parodie und der Satire der Witz im Halse stecken. Komischer als Schröder sind sie gewiss, wie Arnulf Rating in Berlin sagt, aber zum Lachen?

Georg Schramm ist im SPD-Milieu aufgewachsen. Die Ehrenurkunde, die sein August auf der Bühne hoch hält, ist die seines Vaters. Spotten kann Schramm immer noch nicht richtig über die alte Partei und ihre vielleicht finale Krise. Er spricht über die Zwänge, unter denen die Partei steht, manchmal nimmt er sie ein bisschen in Schutz: Die SPD werde von jeher zum Ausputzen und Aufräumen geholt, wenn die Mächtigen nicht mehr weiter wissen. Wie damals, im ErstenWeltkrieg, bei den Kriegskrediten beim Kaiser. Und sie macht dann auch die Drecksarbeit.

Über Gerhard Schröder lässt Georg Schramm seinen August sagen: »Der is halt ein armer Kerl. Der is praktisch mehr so wie ein Staatsmann, der muss mit alle schwätze könne.« Einmal hat der Schröder ihm gefallen, damals, als er die Arbeitsplätze bei Holzmann gerettet habe und der Betriebsrat vor Rührung nicht habe sprechen können. Das war was! Traum und Wirklichkeit: »Is aa nix draus g’worden. Aber ma hat wenigstens das Gefühl g’habt, er hat’s versucht. Mehr willst du als Sozialdemokrat gar net. Das is entscheidend.« Das könnte sogar eine hilfreiche Botschaft des Kabarettisten an den Kanzler sein.

Werner A. Perger
Die Zeit 30/2004