Ein schlauer August Die Karriere des Kabarettisten Georg Schramm begann im Schäferhundeheim - nun witzelt er im "Scheibenwischer"
Noch einmal, bitte! Weil es so schön war. Also: "Interessensverbände machen die Politik. Die ziehen die Fäden, an denen politische Hampelmänner hängen, die uns auf der Bühne der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen dürfen. Diese Politfiguren dürfen dann in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen Christiansen und Illner ihre Sprechblasen entleeren. Und wenn bei der intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich bei Beckmann und Kerner an der emotionalen Pissrinne unter das Volk mischen."
Vor Publikum vorgetragen und vom Fernsehen ausgestrahlt, heißen solche Sätze: Politisches Kabarett. Das Pissrinnen-Zitat stammt aus der letzten Scheibenwischer- Sendung mit Dieter Hildebrandt im Oktober. Gesprochen hat es Georg Schramm in seiner Rolle als Lothar Dombrowski, einem schlecht gelaunten Preußen mit künstlicher Hand. Jetzt darf Schramm, 54, der bitterböseste unter den Dinosauriern des Kabarett-Jurassic-Parc, zusammen mit Bruno Jonas und Mathias Richling in der ARD erneut ran: In der ersten von zehn Folgen des posthildebrandt- schem Scheibenwischer, produziert von Rundfunk Berlin Brandenburg und Bayerischer Rundfunk. Die Sendezeit ist kürzer als früher, und pro Folge kommt ein Gast. Das politische Kabarett mag in den letzten Zügen liegen - dank Künstlern wie Schramm röchelt es herzhaft frisch.
Wer ist dieser Georg Schramm? Bei Milchkaffee und Hühnerrisotto erzählt der öffentlichkeitsscheue Hundebesitzer in einem Münchner Café von seinem Leben. In "der schrecklichen Stadt" Bad Homburg sei er als Sohn eines Arbeiters aufgewachsen, habe Millowitsch und Heidi Kabel studiert und das Abitur gerade so geschafft. "Mein Vater war ein einfacher Sozialdemokrat. Er hat sich von der Bild-Zeitung ernährt und wurde im Alter etwas merkwürdig. Wir mussten aufpassen, dass er in der Wahlkabine sein Kreuz nicht bei Kohl macht." Als Kind träumte Schramm vom sozialen Aufstieg. Fleißig wie erfolglos betanzte er Mädchen aus besserem Hause, verpflichtete sich bei der Bundeswehr, wurde Jahrgangs- bester im Einzelkämpferlehrgang, brachte es bis zum Offizier der Reserve. "Ich kann nicht verhehlen, dass Waffen eine gewisse Faszination auf mich ausüben. In einem Panzer über vier Kilometer einen Wagen in die Luft zu jagen, das hat was." Hilfe!
Was für ein Leben. Bei der Heeresoffizierschule fiel der Linkshänder und Kommunisten- freund wegen "charakterlicher Nichteignung" durch. Er studierte Psychologie in Bochum, beteiligte sich an Studentenprotesten, besuchte Zadek-Inszenierungen, las Ernest Mandel und verstand kein Wort. Die ÖTV bot ihm einen Geschäftsführerposten in Stuttgart an. Er schlug aus. "Ich bin dem Alkohol nicht abgeneigt. Das waren alles Alkoholiker." Zwölf Jahre arbeitete er als Diplom-Psychologe in einer Reha-Klinik am Bodensee.
Freundlich und unsicher wie ein kleiner Junge wirkt der kräftige Kabarettist im roten Rollkragen-Pulli auf dem verschnörkelten Stuhl des Kaffeehauses. Auf die dicke Dombrowski-Brille verzichtet er im wahren Leben; er wirkt weich wie seine liebste Figur, der hessische Sozialdemokrat August. Wenn Schramm als August grüßt, sitzt er mit der SPD-Urkunde auf der Bühne, die seinem Vater nach 25 Jahren Parteizugehörigkeit überreicht wurde. August ist sein Vater. "Politik war mein Leben", sagt August: "Aber in der Zeitung stehen nur noch Börsenkurse." Bei diesem Text wässern Schramms blaue Augen.
Es war bei einer Feier im Schäferhundeheim Markelfingen, als sich sein Leben entschied. Flankiert von Hundehalsbändern und Figurantenhandschuhen habe er vor Jahren eine Laudatio auf einen Psychologie-Kollegen halten dürfen, erzählt er und lacht sein militaristisches Stakkato-Lachen, wie man es von seinen Rollen kennt. Jemand habe gefragt, ob er nicht Lust habe, in einer Theatergruppe mitzuspielen. Er hatte. Als er zum ersten Mal auf einer Kleinkunstbühne stand, in Konstanz, war er schon weit über 30. Ersten Preisen folgten erste größere Solo-Tourneen, folgten erste Fernsehauftritte, folgten Shows vor ausverkauften Häusern. Heute erklärt Schramm dem Publikum gerne, warum das politische Kabarett tot sei. Allerdings erklärt er es so, dass man weiß, dass es alles andere als tot ist. Hildebrandt fand das derart komisch, dass er den Kollegen vor drei Jahren zum Scheibenwischer holte.
Dieser Tage gilt Schramm als "einer der kompromisslosesten Satiriker des deutsch- sprachigen Kabaretts" (Standard). Sein Programm nennt man "historisch" (Neue Zürcher Zeitung). Vielleicht, weil es eine Kunst ist, Spaß und Ernst so verschwimmen zu lassen, wie er es kann. "Armut heißt arm an Mut" lautet ein Satz in Schramms aktuellem Programm Mephistos Faust, seinem fünften. Dieser Blödsinn stammt von einem erfolgreichen Motivationstrainer. Faselt Schramm wiederum in seiner Rolle als Oberstleutnant Sanftleben vom "eklatanten Mangel beim Nachschub an Humankapital" und schwadroniert, man könne "nicht jedes Jahr einen Wolkenkratzer einäschern, damit die Spaßgesellschaft ihre Klappe hält", glaubt man, einen echten Militaristen vor sich zu haben. Als dem Vater zweier Töchter 1990 der Kabarettpreis "Salzburger Stier" verliehen wurde, trat Schramm als arroganter Fernsehredakteur vors Publikum. Zwar würde ihn politisches Kabarett überhaupt nicht interessieren, sagte er, aber das schöne Wetter und die Stadt Salzburg mache diese Veranstaltung für ihn zum unvergesslichen Erlebnis. Das brachte den im Publikum sitzenden Kabarettisten Leo Lukas so in Rage, dass er los schimpfte. Lukas erkannte das Rollenspiel nicht.
Schramm weiß: "Wenn mich mit Anfang 20 einer von RTL aufgegabelt hätte, dann wäre ich verloren gewesen. Die hätten mich locker für die größte Scheiße gekriegt." Heute haben seine unverschämten Worte eine wundervoll reinigende Wirkung - im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Martin Zips Süddeutsche Zeitung | 08.01.2004
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